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Docteur Jack

Der gute Mensch von Kalkutta: Der Gewinner des Prix du Public an den diesjährigen Solothurner Filmtagen ist ein farbenfrohes und inspirierendes, dabei aber auch etwas einseitiges Porträt des Armenarztes Jack Preger.

Text: Dominic Schmid / 10. Okt. 2017

Jack Preger ist ein Held der bescheidenen und auch sturen Sorte. Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet der mittlerweile über achtzigjährige Arzt in Kalkutta im Dienst der Allerärmsten. Drei Kliniken und zwei Schulen hat er unter anderem gegründet und mehr als eine halbe Million Menschen gratis behandelt. So heisst es im Dokumentarfilm von Benoît Lange und Pierre-Antoine Hiroz. Lange hat den engagierten Arzt bereits Ende der achtziger Jahre in Kalkutta kennengelernt, als er die von diesem gegründete NGO Calcutta Rescue als freiwilliger Helfer unterstützte. Die fast grenzenlose Bewunderung, die Lange seinem Sujet entgegenbringt, sieht man dem Film in jeder Szene an – was diesem nicht unbedingt schadet, ihn aber näher an diverse Imagefilme oder Spendenaufrufvideos heranrückt, als einem im Kino lieb wäre. Ähnlich zwiespältig wirkt sich aus, dass der Regisseur von Beruf eigentlich Fotograf ist: Die Armut wirkt hier sehr fotogen, jedem Bild wohnt ein Gestaltungswille inne, der auch bei «National Geographic» gut aufgehoben wäre. Gleichzeitig fangen die hervorragend komponierten Bilder in prachtvollen Farben Schönheit und Elend Kalkuttas dermassen eindringlich ein, dass man sich am liebsten sofort in die bengalische Stadt begeben und sich Jack Preger und seinem pragmatischen Kampf gegen das Elend anschliessen möchte. Gegen einen Film, der so etwas – oder wenigstens eine nennenswerte Erhöhung der Spendeneinkünfte bei der NGO «mit fragiler Finanzierung» – erreicht, lässt sich grundsätzlich eigentlich kaum etwas einwenden.

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Trotzdem ist es schade, dass Docteur Jack in seiner Struktur nach derart konventionellen Mustern verfährt und deshalb aus der Vielzahl von Arte- und HBO-Dokumentationen zu ähnlichen Sujets künstlerisch kaum herausragt – abgesehen vom Schauwert seiner Bilder. Am Beginn steht passenderweise dann auch Pregers ursprüngliche Ablehnung eines Films über seine Person und sein Wirken. Bescheiden und zielgerichtet stellt der Arzt eine durchaus komplexe Figur dar, mit Zweifeln und (so wird es angedeutet, aber kaum ausgeführt) schwieriger Vergangenheit. Preger ist dann doch so pragmatisch, dem Filmprojekt seinen Segen zu geben, sich in Kalkutta bei seiner Arbeit begleiten zu lassen und sogar eine Reise zurück in die walisische Heimat zu unternehmen, was Lange Material für besagte hagiografische Dramaturgie liefert. Die Aufnahmen von Wiesen- und Klippenlandschaften liefern zudem ein willkommenes Kontrastmoment zu den menschen- und leidüberfüllten urbanen Szenerien der bengalischen Metropole. Diese spielt neben Preger auch die eigentliche Hauptrolle, vor allem, wenn Lange sich mehrmals von seiner Hauptfigur löst und verschiedene Menschen und die Stadt porträtiert, die von Pregers Wirken direkt und indirekt berührt werden: Schwester Cyril, eine engagierte Nonne mit guten Kontakten zur Stadtverwaltung ist, eine unabdingbare Verbündete, die Pregers Sturheit vor allem bei finanziellen Fragen teils auch kritisch gegenübersteht; ein junges Paar, beide HIV-infiziert, deren Kind dank der kostenlosen medizinischen Unterstützung gesund zur Welt kommt; Familien, die unter der slumfeindlichen Urbanisierungspolitik leiden und für die sich Preger und seine Helfer ebenso einsetzen wie für die unzähligen Kranken, die sich die reguläre Gesundheitsversorgung Indiens nicht leisten können. «Street Medicine» lautet die Bezeichnung für das, was Jack Preger hier erfunden hat und seit dreissig Jahren praktiziert.

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Man sollte einen Film nicht dafür kritisieren, was er nicht leistet. Trotzdem hätte es Docteur Jack gut getan, wenn Lange sich auktorial etwas zurückgehalten und Pregers Werk für sich selbst hätte sprechen lassen. Vor allem, wenn sich Lange mehrere Male selbst ins Zentrum rückt und in einer besonders pathosgeladenen Szene beginnt, über Pregers Einfluss auf seine Fotografie zu referieren («Mitgefühl für andere, die richtige Distanz ohne Schwarzmalerei, immer auf der Seite des Menschlichen»), hätte man dem Film und seinem Subjekt genau diesen distanzierten Zugang gewünscht, der Menschlichkeit nicht aus dem Off behauptet, sondern als schwierigen und langwierigen Prozess zeigt. Jack Pregers Körper, sein Gesicht und sein Lachen, wenn er auf der Strasse auf ehemalige Patienten trifft, sprechen da schon laut genug. Aber wie Doktor Jack einmal im Film Mutter Teresa zitiert, die andere Heilige dieser trotz allem wunderschönen Stadt: «Besser auch nur eine Kerze anzünden, als im Dunklen sitzen zu bleiben.» Das soll auch für Docteur Jack gelten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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