Sie war eine Ikone – und ist es bis heute: Janis Joplin. Ihr legendäres Fotoporträt mit der unbändigen Mähne, der feuerroten Federboa und der glitzernden Häkelweste – zu sehen auf ihrem posthum erschienenen Hitalbum «Pearl» – wurde zum Sinnbild für die Hippiekultur per se. Wie wenige andere, vor allem Frauen, verkörperte sie mit ihrer rauen, unverwechselbaren Stimme, ihrem turbulenten Leben und ihrem frühen Tod den ebenso exzessiven wie explosiven Lebensstil jener Zeit, die unter dem Motto «Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll» stand.
Die namhafte US-amerikanische Dokumentarfilmregisseurin Amy Berg lässt das Leben der Rocksängerin Revue passieren und versammelt dafür nebst bisher unveröffentlichtem Archivmaterial und Homemovies eine Reihe von Zeitzeugen, Familienangehörigen, Lovers (auch Frauen) oder Musikern, die mit ihren Erinnerungen und Statements den Werdegang der Musikerin nachzeichnen, wobei Einzelne die Betroffenheit über den frühen Tod der Weggefährtin bis heute nicht überwunden zu haben scheinen.
Janis stammte aus einer intakten texanischen Mittelstandsfamilie. Sie sang ursprünglich im Kirchenchor und hatte ihren ersten öffentlichen Auftritt 1958 – mit fünfzehn Jahren – in einer Anstalt für Alkohol- und Drogensüchtige. Sie war ein rebellisches Kind und wurde zu einem nicht weniger rebellischen Teenager. Als Aussenseiterin auf der Highschool – was mit vielen Kränkungen verbunden war, die sie bis ins Erwachsenenalter prägten – scherte sie sich einen Deut um Tugend- und Sittsamkeit, lebte ausschweifend und fand zu Beginn der Hippie-Ära unmittelbar Anschluss an die Community, als sie Anfang der sechziger Jahre nach San Francisco ging. Mitten in die Ära von Flower-Power. Um ihrer Sehnsucht nach Liebe, ihren Emotionen, ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen, fand sie die Musik, insbesondere den Blues, und einen ihr eigenen Gesangsstil. Sie wurde Leadsängerin von Big Brother and the Holding Company, mit denen sie 1968 in Monterey auftrat, es folgte die ambitiös zusammengestellte und etwas weniger glücklich agierende Kozmic Blues Band, mit der sie 1969 nach Woodstock reiste, um sich schliesslich mit der Full Tilt Boogie Band an die Spitze der Beliebtheit zu katapultieren. Damit stand sie nicht zuletzt für den American Dream: Sie wollte ein Star werden – und sie wurde es. Inklusiv der damit unweigerlich verbundenen Einsamkeit: Die Drogen waren schon früh treue Wegbegleiter. Im Lauf ihrer Karriere schaffte sie es zwar, sich von ihnen loszusagen, um ihnen dann aber auf der Höhe der Karriere erneut zu verfallen. Nicht zuletzt um die Leere nach dem grossen Auftritt zu ertragen, wenn sich ihr Publikum wieder in alle Windrichtungen zerstreut hatte, gehörte die Heroinspritze nach dem Konzert zum fatalen Ritual. Sie starb 1970 allein in einem Hotelzimmer an einer Überdosis.
Janis: Little Girl Blue kommt rund ein halbes Jahr später als das Biopic einer anderen legendären Sängerin ins Kino. Amy Winehouse erlebte einen ähnlich kometenhaften Aufstieg und schrieb sich mit einer ebenso unvergleichlichen Stimme und einem extravaganten Stil in die Annalen der Popgeschichte ein, um mit 27 Jahren, im gleich frühen Alter wie Janis, ein Opfer des exzessiven Drogengebrauchs zu werden. [art:amy-asaf_kapadia:Amy] von Asif Kapadia ist das filmische Porträt eines Stars von heute, dessen Leben von Kindsbeinen an mediatisiert war und in dem keine Sekunde der Existenz filmisch und fotografisch undokumentiert geblieben ist, und dies bis zum bitteren Ende. Janis: Little Girl Blue lässt insbesondere dank bis anhin unveröffentlichter Konzertausschnitte viel von der Stimmung, der Energie und dem Zeitgeist von damals einfliessen, stellt aber über ihre heute fast anachronistisch anmutenden Briefe an Familie und Freunde einen sehr persönlichen Zugang zu Janis Joplin her – vorgelesen werden sie von der Popmusikerin Cat Power mit spröder, ätherischer Südstaatenstimme aus dem Off. Der Film über Janis präsentiert sich weniger spektakulär – und auch etwas weniger voyeuristisch – als der Film über Amy, mit seinen zahlreichen eingestreuten Talking Heads auch etwas statischer. Nichtsdestotrotz vermag er, jene von politischem Aufbruch und Freiheitsbestreben geprägte Epoche einzufangen und einen freundschaftlichen Zugang auf Augenhöhe zur Ikone Janis Joplin in ihrer ganzen Verletzlichkeit zu finden – und zeichnet die Tragödie ihres viel zu kurzen Lebens nach, ohne es zu skandalisieren.