In [art:211:La grande bellezza] bot der grandios zynische Charakter Jep Gambardellas wenig Gelegenheit zur Intro spektion, allenfalls die Erinnerung an seine mit dem Blau des Meeres assoziierte Jugendliebe vermochte die Illusionslosigkeit der Figur momentweise zu erschüttern. Hier, in Youth, hat sich die Gewichtung verlagert: Die Beziehung zwischen dem renommierten Komponisten und Dirigenten Fred Ballinger und dem Filmemacher Mick Boyle, gespielt von Michael Caine beziehungsweise Harvey Keitel, ist von einer überraschenden Zärtlichkeit geprägt, während Sorrentinos korrosiver Blick vor allem den Figuren auf den Nebenschauplätzen vorbehalten bleibt.
Auch das Setting nimmt sich – vergleichsweise – bescheiden aus. Auf die sublime Kulisse des antiken Rom folgt das Schweizer Hotel Schatzalp, ein Alpen resort, das einst Thomas Manns «Zauberberg» Modell gestanden hatte und heute einer globalisierten Elite als luxuriöses Wellnesszentrum zur Verfügung steht. In seiner formalen Beschaffenheit kann sich Youth mit seinen Vorgängern jedoch vergleichen lassen: ein mit grosser Effizienz eingesetzter Soundtrack, dessen prägendste Momente hier (erneut) David Byrne und David Lang zu verdanken sind, und Luca Bigazzis agile Kamera, die mit blendender Virtuosität die Räume seziert und doch im richtigen Augenblick Visionen freisetzen kann – erst eine thematisch einleuchtende Illustration des Bibelmotivs «Susanna im Bade», später ein atemberaubendes Nachtbild des überfluteten Markusplatzes in Venedig.
Und hatte La grande bellezza die Jahre, die seit Fellinis La dolce vita verstrichen sind, in den Brennpunkt seiner melancholischen Betrachtungen gerückt, so weckt die Figur Harvey Keitels nun unvermeidbar Erinnerungen an Otto e mezzo. Wie lässt sich das Leben in die Kunst überführen? Mick Boyle, von einer etwas überfordert anmutenden Crew von Drehbuch autoren umgeben, versucht vergeblich, das Projekt «Life’s Last Day» – sein «filmisches Testament» – zu einem überzeugenden Abschluss zu führen. Später wird die Kunst ins Leben zurückfliessen und den Filmemacher mit seinen früheren Inszenierungen konfrontieren: Auf einer blühenden Wiese, die einem Szenenbild von Pina Bausch entstammen könnte, begegnet Boyle seinen Frauenrollen wieder – traumartige Figuren, die unvermutet aus dem Limbus treten und sich fragend und klagend an ihren Schöpfer wenden.
Denn natürlich ist Sorrentinos Titel eine Anti phrase: Fred Ballinger, der «das Erhalten der körperlichen Form mit achtzig Jahren für eine Zeitverschwendung» hält, hat mittlerweile jeden Gedanken an Arbeit verworfen – selbst als ihn ein Emissär der Königin Elisabeth mit dem Auftrag aufsucht, eine seiner Kompositionen anlässlich des Geburtstags des Kronprinzen Philip zu dirigieren, winkt er kommentarlos ab. Sowohl Ballinger als auch Boyle blicken vor allem ihrem nahen Lebensende ins Auge und bangen in ihren schwachen Minuten um den Zustand ihrer Prostata. Ihre Freundschaft, die auf einem sorgsam austarierten Gleichgewicht zwischen Schweigemomen ten und gewandtem Small Talk gründet, baut allerdings auch auf eine familiäre Beziehung: Lena, Freds Tochter, von Rachel Weisz gespielt, ist mit Micks Sohn verheiratet. Als dieser Lena wegen einer «sexuell attraktiveren» Sängerin (Paloma Faith, in einem burlesken Auftritt in ihrer eigenen Rolle) verlässt, wird auch Youth eine markante Kursänderung erfahren: Die Bildsprache ufert ins Albtraumartige aus, die Vorwürfe der Tochter an den lebenslang abwesenden Vater werden unvermittelt auch die Haarrisse, die sich durch Ballingers undurchdringliche Miene ziehen, sichtbar machen.
Es sind diese Momente tiefer Einsamkeit, die Sorrentino elegant zu illustrieren weiss: Während Mick sich im Ozean der Amnesie zu verlieren droht, muss sich Fred seiner gescheiterten Ehe stellen. Dem blanken Entsetzen, das der Altersprozess auslöst, stellt die Regie eine Galerie von Nebenfiguren entgegen, die das Geschehen verfolgen wie ein Erin nyenchor: Da ist der morbid übergewichtige Exfussballer mit einem Karl-Marx-Tattoo auf dem Rücken, der Jungstar aus Hollywood, der später als Wiederkehrer Hitlers schockieren wird, und die raubvogelartige Actrice (eine hoch konzentrierte Jane Fonda), die in einem Dreiminutenauftritt Boyles künstlerische Prätentionen sabotiert. Wie in der neapolitanischen Barockmalerei werden sich die Brüche in Stimmung und Tonfall hier zu einer eigentlichen Signatur verdichten. Vermutlich werden sie das Publikum auch spalten – das Exzessive, das Youth seine faszinierende Sogkraft verleiht, kann ebenso leicht auch irritieren.