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In diese Stimme muss man sich einfach verlieben: freundlich, schalkhaft, tief, rau, immer in Gefahr, zu versagen oder sich zu überschlagen, besonders bei herzhaftem Lachen oder diebischer Freude. Eine Stimme, die Reife und Erfahrung ausstrahlt, von der erotischen Anziehung ganz zu schweigen, und natürlich gehört sie Scarlett Johansson. Das Besondere am neuen Film von Spike Jonze: Johanssons Stimme ist keinem Körper zugeordnet.

Text: Michael Ranze / 12. März 2014

In diese Stimme muss man sich einfach verlieben: freundlich, schalkhaft, tief, rau, immer in Gefahr, zu versagen oder sich zu überschlagen, besonders bei herzhaftem Lachen oder diebischer Freude. Eine Stimme, die Reife und Erfahrung ausstrahlt, von der erotischen Anziehung ganz zu schweigen, und natürlich – das ist nicht zu viel verraten, weil der Film seit den Festivals in Rom und Rotterdam sowie dem US-Kinostart in aller Munde ist – gehört sie Scarlett Johansson. Das Besondere am neuen Film von Spike Jonze: Johanssons Stimme ist keinem Körper zugeordnet. Sie ist eigentümlich entortet, virtuell und nur dann zu hören, wenn sich jemand per Knopf im Ohr ins Operating System des heimischen PCs samt Smart-Phone einklinkt. Scarlett Johansson ist darum nie im Bild zu sehen, und doch löst sie, nur vermittelt durch ihre Stimme, eine Sehnsucht aus, der etwas Magisches anhaftet. her spielt in der Zukunft, und doch greift der Film auf die Muster der Screwball Comedy der dreissiger Jahre zurück. Jonze verbindet die beiden gegensätzlichen Pole seiner Erzählprämisse auf ebenso originelle wie ungewöhnliche Weise und entwirft dabei ein glaubwürdiges Szenario. Denn Menschen, die mit sich selbst zu reden scheinen, weil sie über unsichtbare Telefone mit der Aussenwelt verbunden sind, begegnen einem auf der Strasse zuhauf.

Jonze erzählt die Geschichte von Theodore Twombly, einem scheuen, hochsensiblen Einzelgänger, der seine Lebensuntüchtigkeit mit Hornbrille, unvorteilhaftem Schnauzbart und hochtaillierten Cordhosen, die farblich nicht so recht zu den Schuhen passen wollen, symbolhaft unterstreicht. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit dem Schreiben sehr persönlicher und anrührender Liebesbriefe für andere, ein schöner Rückgriff auf althergebrachte Methoden der Kommunikation inmitten der Allgegenwart der Social Media. Privat hat Theodore seine Einfühlsamkeit allerdings nichts genutzt: Seine Ehe mit Catherine ist gescheitert, die Scheidungspapiere harren der Unterzeichnung. Und weil ihm die Menschen nicht geheuer sind, verlässt Theodore sich auf die Technik. Abspielen von Musik, Zeitvertreib mit Hologrammspielen, Ordnen und Vorlesen von E-Mails, sogar Vermittlung von Telefonsex – alles regelt der Computer, und dann meldet sich mit der Installierung des neuen Operating Systems die freundliche Stimme einer jungen Frau, die sich auf Nachfragen den Namen Samantha gibt. Fortan überrascht Samantha Theodore mit Neugier, Verständnis, Humor und Sensibilität und bringt ganz nebenbei sein Alltagsleben auf Vordermann. Samantha verfügt über eine hochkomplexe künstliche Intelligenz, die sie geradezu menschlich erscheinen lässt. Darüber hinaus hat sie – neben den Daten, auf die sie zugreifen kann – ein untrügliches Gespür dafür, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. So macht sie sich ein genaues Bild von Theodore, seinen Problemen und Komplexen, seinen Vorlieben und Abneigungen. Sie tauschen Ideen und Geheimnisse aus, teilen Sorgen und Nöte und lernen sich immer besser kennen. Er nimmt sie mit auf seine Ausflüge durch die Stadt, die Berge und zum Strand, sie erblickt über das Kameraauge seines Handys seine Welt. Aus ihrer Perspektive erscheint ihm sein gleichförmiger Alltag mit einem Mal falsch, verbesserungswürdig. Und so ist aus der Assistentin eine Freundin und Vertraute geworden, mehr sogar.

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Das Erstaunliche an der Entwicklung dieser Beziehung ist, dass sie – in klug und lebendig geschriebenen Dialogen – absolut natürlich wirkt. Die Illusion, dass sich hier Mann und Frau begegnen, ist nahezu perfekt. Man muss sich nur die Mimik von Joaquin Phoenix ansehen, um diesem Anschein zu erliegen: Wie er sich freut, wenn sein mobiles Telefon klingelt, wie er konzentriert zuhört, wie er mit Erstaunen oder Interesse auf das Gesagte reagiert, wie er über einen Scherz lacht. Dabei folgt Jonze einem Romantizismus, der in zahlreichen Melodramen – Douglas Sirk, John M. Stahl und Frank Borzage kommen einem in den Sinn – und Komödien, von Howard Hawks bis Mitchell Leisen, anklingt. Die Liebe ist hier so stark, dass sie alle Hindernisse überwinden will. Doch ausgerechnet Samanthas Wunsch nach körperlicher Manifestierung sorgt für eine Katastrophe, der eine noch schlimmere folgen soll. Das macht aus Her ein kluges filmisches Traktat über das Wesen und die Risiken der Intimität in der modernen Welt, über das Wesen der Liebe überhaupt, über ihre Gegenseitigkeit, über Vertrauen und Mitgefühl, über Eifersucht und Angst, kurzum: über ihre Menschlichkeit. Wie verliebt man sich in Zeiten des Internets, wenn Menschen sich durch Facebook und E-Mail miteinander verbunden fühlen und die sichtbare Präsenz mehr und mehr an Bedeutung verliert? Dass diese Frage durch eine digitale Persönlichkeit ohne Körper ausgelöst wird, macht die sanfte Ironie des Films aus. Und gibt dem Filmemacher eine ungeahnte erzählerische Freiheit: Jonze hat seine Geschichte in ein lichtdurchflutetes und farbenfrohes, sauberes und elegantes, sogar autofreies Los Angeles der nahen Zukunft eingebettet. Eine strenge Architektur und fast unsichtbare Technologie widerpiegeln die selbstauferlegte Isolation der Menschen. Fast beiläufig, mit nur wenigen subtilen Veränderungen der Realität zeichnet er, unterstützt durch den schönen Soundtrack von Arcade Fire, das Bild einer fortschrittlichen Kommunikationsgesellschaft, in der ständig jeder mit jedem verbunden ist. Spike Jonze erzählt im modernen Gewand eine unmoderne Liebesgeschichte, sanft, warmherzig, komisch und lebendig. Und sehr romantisch.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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