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The Grand Budapest Hotel

Zubrowka heisst das imaginäre Land, das Wes Anderson für The Grand Budapest Hotel kreiert hat. Der Name stammt nicht aus dem Hier und Heute. Es ist eine sehr, sehr ferne Zeit, in der der Film spielt, und eine fremde Welt: eine hermetisch abgeriegelte, die aber doch den Charme einer versunkenen Welt ausstrahlt.

Text: Frank Arnold / 12. März 2014

Zubrowka heisst das imaginäre Land, das Wes Anderson für The Grand Budapest Hotel kreiert hat. Der Name stammt nicht aus dem Hier und Heute. Es ist eine sehr, sehr ferne Zeit, in der der Film spielt, und eine fremde Welt: eine hermetisch abgeriegelte, die aber doch den Charme einer versunkenen Welt ausstrahlt. Einst war sie Teil des österreichisch-ungarischen Reichs, danach Bestandteil eines anderen Imperiums, des kommunistischen, heute, nach dessen Zerfall, ist die Vergangenheit nur noch eine Erinnerung. Am Anfang steht ein Grabstein, das Denkmal des grossen Nationalschriftstellers, das über und über mit Orden behangen ist, als wolle man damit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit trotzen. Um den Abstand zum Zuschauer von heute zu unterstreichen, bedient sich der Film einer mehrfachen Rahmenhandlung: 1985 ist dieser Schriftsteller noch am Leben, ein alter Mann, der an seinem Opus magnum arbeitet; 1968 erleben wir ihn als jungen Mann im heruntergekommenen Grand Budapest Hotel, das immer noch als Kurort dient. Man macht ihn auf einen alten Herrn aufmerksam. Der sei der Besitzer des Hotels, nächtige aber bei seinen Aufenthalten stets in einem kärglichen kleinen Raum. Das setzt natürlich die schriftstellerische Phantasie in Gang, und so kommen die beiden ins Gespräch: Was folgt, ist die Geschichte des Grand Budapest Hotel und wie aus dem Hotelpagen Zero der Hotelbesitzer Zero wurde.

Die Geschichte beginnt 1932, unmittelbar vor dem Machtantritt Hitlers in Deutschland. Im Hotel laufen alle Fäden bei Monsieur Gustave, dem Concierge, zusammen. Der elegante Mann mit dem Clark-Gable-Bärtchen hat alles unter Kontrolle – oder doch fast alles: Der neue Hotelpage Zero muss ihm erst vorgestellt werden und ein kleines Verhör über sich ergehen lassen. Aber danach schliesst ihn Gustave in sein Herz. Es ist noch etwas Platz da, obwohl es doch überwiegend den älteren, wohlbetuchten Damen unter den Hotelgästen gehört, die nicht zuletzt wegen Monsieur Gustave immer wieder hierher zurückkehren, denn er betätigt sich auch als Gigolo.

Das bringt ihn nach dem plötzlichen Tod von Madame D. in den Besitz einer Erbschaft, aber damit fangen die Probleme auch an. Denn Dmitri, der Sohn von Madame D., mag sich damit nicht abfinden. Des Mordes an Madame D. beschuldigt, sieht sich Gustave mit Zero im Schlepptau alsbald einer Verfolgungsjagd ausgesetzt, bei der es um Leben und Tod geht. Dmitris Gehilfe Jopling, ein finsterer Bursche mit Bürstenhaarschnitt und stets in einen schwarzen Ledermantel gehüllt, schreckt vor nichts zurück. Im Verlauf des Films wird der Zuschauer mit vier abgetrennten Fingern und einem abgetrennten Kopf, der in Grossaufnahme aus einem Weidenkorb gezogen wird, konfrontiert. Ein beredter Kontrast zu all den liebevollen und skurrilen Details (etwa die in rosa Schachteln verpackten Tortenkreationen), die auch diesem Anderson-Film so einschmeichelnd verführerische Oberflächen verleihen.

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Andersons The Darjeeling Limited und Moonrise Kingdom spielten weitgehend draussen, The Grand Budapest Hotel hingegen ist ein Studiofilm. Selbst viele Aussenaufnahmen erwecken den Eindruck des Artifiziellen, als seien sie im Studio mit Hilfe von Greenscreen und digitalen Tricks entstanden. Im Hotel sieht man zu Beginn ein Wandgemälde, das einen einsamen Hirsch auf einer Bergspitze zeigt, diese ist allerdings so schmal, dass der Hirsch unmöglich dort hingelangen konnte – ein surreal anmutendes Bild, das an die höchst artifiziellen Bilderwelten des kanadischen Filmemachers Guy Maddin erinnert, die der Stummfilmästhetik huldigen.

Beim Zuschauer beschwört das Setting des Films auch Kinoerinnerungen herauf, etwa an The Emperor Waltz, einen der unbekanntesten Filme Billy Wilders, aber auch an Hitchcocks The Lady Vanishes oder Lubitschs The Merry Widow und Chaplins The Great Dictator – Filme von Europäern, die nach Amerika gingen (auch wenn sie das im Fall von Chaplin und Lubitsch schon lange vor 1933 taten, hätten sie danach aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht zurückkehren können). Vielleicht auch noch an Hollywoodfilme aus dieser Zeit, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten und dabei auf dem Studio-backlot pittoreske Kleinstädte entwarfen, man denke zumal an MGM-Produktionen wie Fred Zinnemanns The Seventh Cross (nach Anna Seghers, 1944) oder Frank Borzages Three Comrades (nach Erich Maria Remarque, 1938) und The Mortal Storm (1940).

«Inspired by the works of Stefan Zweig» heisst es zu Beginn des Nachspanns. Diesen Autor, der ebenfalls vor den Nazis ins Exil ging, kennt man heute, nicht nur in den USA, sondern vielleicht auch in Europa, wohl eher als Vorlagenlieferant einiger grossartiger Filme: tragische Geschichten von nicht erwiderter Liebe, von denen Max Ophüls’ Letter from an Unknown Woman die bekannteste ist. Wes Anderson hat Zweig in Paris entdeckt, wo er seit geraumer Zeit vorwiegend lebt. Sein Film ist Produkt der Imagination, aber die ist keine reine Nostalgie: Das Symbol der neuen Herrschaft in Zubrowka, ein Doppel-Z, ist dem nationalsozialistischen SS-Zeichen nicht unähnlich; Monsieur Gustave mag am Ende die neuen Herren mit einer gelangweilt-sarkastischen Bemerkung über ihre stillosen Uniformen abtun. Aber das ist in diesen Zeiten durchaus ein politisches Statement. Denn die Kugeln in den Gewehrläufen der Uniformträger sind echt. So kommt Zero in den Besitz des Hotels.

The Grand Budapest Hotel ist auch ein Familienfilm, wie alle Anderson-Filme. Der durchwegs unsympathischen Familie der Erben von Madame D. stellt er die Familie der Hotelangestellten gegenüber, die der gemeinsame Dienst an den Gästen verbindet, aber auch die «Society of the Crossed Keys», einen (Geheim-)Bund von Concierges von Luxushotels in ganz Europa, auf die Gustave in seiner Not zählen kann. Die Montagesequenz, in der die Telefonate dieser Männer gezeigt werden, bietet für mehrere Darsteller aus Wes Andersons stock company den einzigen Auftritt. So ist das Plakat des Films, das die Porträts von siebzehn Schauspielern versammelt, nicht nur ein hilfreiches Verkaufsargument, sondern fungiert auch als Gedächtnisstütze für den Zuschauer, der nicht alle in der Kürze ihres Auftritts wird identifizieren können. Bei einer Schiesserei im Hotel kurz vor Ende ist hinter einer der sich öffnenden Türen für einen winzigen Moment sogar George Clooney zu sehen (der zur gleichen Zeit wie Anderson in Deutschland, ebenfalls mit Aufnahmen im Studio Babelsberg, The Monuments Men drehte; Bill Murray und Bob Balaban spielen hier wie dort mit).

Zum Überschuss, den sich Wes Anderson in seinen Filmen leistet (dieser Luxus war aber noch nie so ausgeprägt wie hier), gehört auch, dass die dreiundfünfzigjährige Tilda Swinton sich jeden Tag vier Stunden in der Maske aufhielt, um vor der Kamera als vierundachtzigjährige Madame D. zu überzeugen – ein Luxus, der perfekt passt zu der untergegangenen Welt, die der Film zelebriert. Wenn gegen Ende von Monsieur Gustave gesagt wird, «seine Welt war schon längst verschwunden, bevor er sie betrat», dann schwingt darin vielleicht auch das Eingeständnis des Regisseurs mit, dass er selber sich am liebsten in Welten einrichtet, die er ganz nach seinen eigenen Phantasien gestalten kann.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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