Man kann den Sheriff schon verstehen, der den alten Mann mit den zerzausten Haaren, der dem Highway entlangmarschiert, anhält und als Vagabunden einstuft. Woody Grant allerdings hat ein Zuhause, auch eine Ehefrau und zwei Söhne, aber genauso hat er ein Ziel: seinen Hauptgewinn abholen. Heutzutage kommen sie meist per E-Mail, die Werbeversprechen, die dem Empfänger verheissen, er habe das grosse Los gezogen. Woodys Los allerdings ist nicht im Papierkorb gelandet, er nimmt es ernst und möchte jetzt seinen Gewinn in Höhe von einer Million Dollar abholen – selbst wenn er dafür den Weg von Billings, Montana nach Lincoln, Nebraska zu Fuss zurücklegen muss. 850 Meilen sind das. Und weil er beharrlich bleibt und so gar nicht von seiner fixen Idee abzubringen ist, willigt sein Sohn David schliesslich ein, diese Reise mit dem Vater zu machen, ihn in seinem Auto herumzuchauffieren – trotz des Spotts von Woodys Ehefrau Kate.
Liebenswert sind die Protagonisten der Filme von Alexander Payne nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Woody Grant ist wohl der unleidlichste von ihnen. Dennoch, seine Beharrlichkeit imponiert dem Zuschauer, der sich auf seine Seite stellt, gegen die nur als zänkisch erscheinende Ehefrau (die doch aus langjähriger Erfahrung ihren Mann besser kennen sollte als wir) und später gegen die Verwandten. Bei denen, in Hawthorne, Woodys Geburtsort, legen Vater und Sohn nämlich einen Zwischenstopp ein. Die beiden übergewichtigen erwachsenen Söhne von Woodys Bruder Ray scheinen den Grossteil des Tages vor dem Fernseher zu verbringen. Später, anlässlich einer Sportübertragung, versammeln sich dort auch noch zahlreiche Nachbarn zu einem ziemlich trostlos wirkenden Stillleben. Woodys temporäre Heimkehr produziert Satire und Slapstick, wenn die Neuigkeit von seinem Millionengewinn die Runde macht. Man kann es eigentlich nicht glauben, aber man glaubt es doch: eine Ehre für die Stadt. Vielleicht springt dabei ja auch etwas für einen selbst heraus – hatte Woody nicht noch hier und dort Schulden zu begleichen? Auf den Spuren der Vergangenheit erfährt zumindest David Verschiedenes über seinen Vater, was ihm die Augen darüber öffnet, warum etwa der so sehr dem Alkohol zuspricht. Schliesslich tauchen sogar noch Kate und Davids Bruder Ross auf, zeigen sich in einem neuen Licht und leisten tatkräftige Unterstützung. Auch wenn es mit der Million nichts wird, David kann seinem Vater zumindest einen grossen Wunsch erfüllen.
Der Weg ist das Ziel, das gilt auch für dieses Road Movie, wie es schon für Paynes About Schmidt und Sideways und in geringerem Masse auch für The Descendants galt. Nebraska ist für den Filmemacher zudem auch eine Rückkehr in seine Vergangenheit, ist er doch in Nebraska aufgewachsen.
Die winterliche Landschaft, für die es im Englischen das schöne Wort bleak gibt, liess er von seinem langjährigen Mitarbeiter Phedon Papamichael in Schwarzweiss fotografieren, der das meisterhaft bewerkstelligt (wie in den Filmen für George Clooney: zuletzt The Ides of March, in Kürze The Monuments Men). Das verleiht den einsam gelegenen Farmgebäuden und den leeren Strassen das Flair einer vergangenen Ära, in der die Zeit stehen geblieben ist. Zudem merkt man, dass einem diese ländlichen Gegenden der USA viel weniger vertraut sind als die Bilder der Metropolen.
Nebraska, das ist auch ein Triumph für den siebenundsiebzigjährigen Bruce Dern, was ähnlich überrascht und freut wie seinerzeit, als der versierte Nebendarsteller Harry Dean Stanton in Wim Wenders’ Paris, Texas ein anrührendes Porträt der Hauptfigur zeichnete. Bruce Dern löst mit diesem Film ein Versprechen ein, das er vor zweiundvierzig Jahren mit Douglas Trumbulls Silent Running gegeben hat (wo er der einzige Mensch unter drei anrührenden kleinen Robotern ist, die er nicht zufällig nach den Neffen von Donald Duck getauft hat) – das Versprechen nämlich, dass er nicht nur einer Nebenrolle im Gedächtnis bleibende Züge verleihen kann. Seinen Woody Grant kann man denn durchaus auch in einer Traditionslinie mit früheren seiner Rollen sehen. Wer mit dem New-Hollywood-Kino der siebziger Jahre aufgewachsen ist, der kennt und schätzt Bruce Dern für seine oft mehr oder weniger am Rande der Verrücktheit operierenden Figuren. Vom durchgeknallten Biker mit Spitznamen Loser in Roger Cormans The Wild Angels (1966) über Bob Rafelsons The Ling of Marvin Gardens (1972), wo er – ein schönes Beispiel inspirierter Besetzung gegen den Typ – den verrückteren Bruder des hier einmal introvertierten Jack Nicholson gab, bis hin zu den Staatsdienern und Uniformträgern, die ihre eigene Agenda verfolgen: als Polizist in Walter Hills Driver (1978), als hochdekorierter Offizier in Hal Ashbys Coming Home (1978) und schliesslich als Pilot, der sich zu einem Terroranschlag auf seine Landsleute benutzen lässt, in John Frankenheimers Black Sunday (1977).
Die Auszeichnung als bester Darsteller beim Festival von Cannes im Mai 2013, wo Nebraska seine Weltpremiere feierte, dürfte nur der Anfang eines Preisregens für Bruce Dern sein. Darüber darf man sich wirklich freuen.