Filmbulletin Print Logo
Maxresdefault

Erschaffung einer Klangwelt (Mad Max: Fury Road)

Die illusionistische Wirkung moderner Blockbuster basiert oft eher auf der engen Bild-Ton-Beziehung als auf inhaltlicher Realitätsnähe. So scheinen in George Millers Mad Max: Fury Road Geräusche, Stimmen, ja sogar die Musik organisch in der gezeigten Welt verankert, obwohl ihr Ursprung von dem der Bilder bisweilen so weit entfernt ist wie der Automotor vom damit unterlegten Warner Bros Logo. Ist die Synchronität jedoch gewahrt, akzeptieren wir als Zuschauer auch absurde Kombinationen als reale Vertonung der fiktiven Welt.

Text: Oswald Iten / 05. März 2016

Aufgrund der grossen Dynamikunterschiede dieser Tonspur empfiehlt es sich, die Beispiel-Clips mit Kopfhörer anzuhören.

Die illusionistische Wirkung moderner Blockbuster basiert oft eher auf der engen Bild-Ton-Beziehung als auf inhaltlicher Realitätsnähe. So scheinen in George Millers Mad Max: Fury Road Geräusche, Stimmen, ja sogar die Musik organisch in der gezeigten Welt verankert, obwohl ihr Ursprung von dem der Bilder bisweilen so weit entfernt ist wie der Automotor vom damit unterlegten Warner Bros Logo. Ist die Synchronität jedoch gewahrt, akzeptieren wir als Zuschauer auch absurde Kombinationen als reale Vertonung der fiktiven Welt.

An Millers postapokalyptischem Actionfilm, der anhand einer gigantischen Verfolgungsjagd eine ganze Welt skizziert, fasziniert denn auch vor allem die inszenatorische Kühnheit und Konsequenz, die im Sommerblockbuster ihresgleichen sucht. Dass die über zwei Jahre erschaffene Tonspur der exzessiven Bildsprache an Detailreichtum in nichts nachsteht, führt der Supervising Sound Editor Mark A. Mangini vor allem auf die ungewöhnlich kollaborative Atmosphäre unter dem 70-jährigen Miller zurück.

Wenngleich von den Dialogaufnahmen am Set wegen der Motoren und Windmaschinen praktisch nichts im fertigen Film zu hören ist, war Ben Osmos generalstabsmässiges Mikrofonierungskonzept während der Dreharbeiten in der namibischen Wüste entscheidend dafür, dass der australische Regisseur das Schauspiel kontrollieren konnte. Gleichzeitig musste später jeder Dialogsatz rekonstruierbar sein. Die eigentlichen Performances entstanden nämlich erst in einer langwierigen Nachsynchronisation, während der Kira Roessler und ihr Team die Dialoge Wort für Wort aus verschiedenen Aufnahmen zusammenbastelten.

Akustische Subjektivierung

Während die rebellische Furiosa grösstenteils authentisch klingt, wirkt Tom Hardys raumfüllendes Nuscheln als Max trotz perfekter Synchronisation allerdings eigentümlich losgelöst vom Bild. Ebenso wichtig für den Realitätseindruck ist nämlich auch die klangliche Einbettung einer Stimme in ihre Umgebung. Gerade in den spärlichen Dialogszenen mit Furiosa irritiert Hardys stark komprimierter Bariton wohl auch deshalb, weil uns die Tonspur mit der Fokussierung auf Max’ subjektive Wahrnehmung einen Helden aufdrängen will, den wir zu diesem Zeitpunkt eher als blinden Passagier in der Geschichte der tatkräftigen Furiosa wähnen.

 

Dabei teilen wir in den gemeinsamen Szenen ganz klar die Perspektive des zum «Blood Bag» degradierten ehemaligen Road Warriors Max, dessen schockartig aufblitzende Visionen von lauten undefinierten Klangobjekten begleitet werden. Genauso effektiv, wenn auch einiges subtiler vermitteln Manipulationen der Umgebungsgeräusche Max’ subjektive Wahrnehmung bei der schrittweisen Befreiung aus seinen Fesseln.

Ein wahres Meisterstück ist dem Sounddesigner David White mit der Auferstehungsszene nach dem Sandsturm gelungen: Nach totaler Stille erhebt sich Max ganz langsam aus plastisch an den Ohren vorbeirieselnden Sandkörnern, bis sich das im Untergrund anschwellende Dröhnen, das bald ans Auftauchen aus dem Wasser erinnert, zum unregelmässigen Pulsschlag steigert, dessen Druck sich beim Herausreissen des Blutschlauchs in einem erleichternden Zischen entlädt.

Immer wieder hören wir Geräusche erst dann, wenn Max sie wahrnimmt, obwohl sie in der offenen Wüste schon lange vorher hörbar gewesen wären. Auch das Abfeuern von Waffen neben Max’ Kopf resultiert in momentaner Taubheit und durchdringendem Tinnitus.

Rhythmische Interpunktion

Solch subjektives Ausblenden von Umgebungsgeräuschen nutzt die Dramaturgie geschickt zur Steigerung von Schockmomenten und antizipierten Explosionen. Ebenso akzentuiert die Tonspur einzelne Schnitte der ausgesprochen flüssigen Montage mit prägnanten Geräuschen und Trommelschlägen. Als beispielsweise der War Boy Nux vom Blick des Diktators Immortan Joe getroffen wird, betont ein markiges Knattern jenen Jump Cut, der Nux’ Erregung erfahrbar macht.

 

Wie eng Mangini mit dem niederländischen Komponisten Tom Holkenborg aka JunkieXL zusammenarbeitete, zeigt sich schön im nahtlosen Übergang von Furiosas Schlägen mit dem Schraubenschlüssel in einen Paukenrhythmus, dessen Geschwindigkeit Holkenborg nachträglich ans Sounddesign anpasste. Demgegenüber tritt das synthetische «Brothers in Arms» synchron zur abrupten Armbewegung eines aufgebrachten Motorradkriegers ein Schallgewitter los, dessen Samples die Grenzen zwischen Geräusch und Musik verwischen.

Als Holkenborg zur Produktion stiess, wollte Miller ausser der fahrenden Schlachtkapelle des Doof Warrior eigentlich gar keine Musik mehr haben. Doch Holkenborg überzeugte den Regisseur, indem er ihm seine Ideen in musikalischer Form unterbreitete. So sind die – nachträglich eingespielten – Riffs im fertigen Film nun zwar klanglich an die Position der feuerspeienden Gitarre im Bild angepasst, musikalisch jedoch mit den durchgehenden Actionrhythmen verwoben.

Seine rhythmusbasierten Tracks stellt der Multiinstrumentalist aus unzähligen Schichten von selbst eingespielten Trommelsamples und diversen Geräuschen zusammen, die er am Computer direkt im dreidimensionalen Klangraum anordnet. Der Fokus auf repetitiv variierte Rhythmen, vervielfachte Bässe und die Bevorzugung von Klangmodulationen gegenüber Melodie und Harmonie geht wohl auf seine Lehrzeit bei Hans Zimmers Remote Control Music zurück.

Leitmotivische Klänge

Während Max’ Reduktion auf seinen Überlebensinstinkt in einem brachialen Celloton Ausdruck findet, wird Furiosa von einem herzschlagartigen Beat begleitet, dessen Bestandteile Holkenborg zur Spannungserzeugung im Canyon langsam auseinanderdriften lässt. Furiosas anfänglicher Kampf mit Max ist denn auch wie ein melodieloses Ballett auf einen Rhythmus aus klanglich variierten Trommelschlägen und synchronen Schlaggeräuschen geschnitten.

Erst nachdem sie Max ihre Motivation für die Rebellion eröffnet hat, entwickelt sich in den Bratschen ein spieldosenhaftes Adagio, das Holkenborg mit einem basslastigen Streichersatz homofon harmonisiert und als schwermütiges Thema der «Many Mothers» zu voller Blüte bringt. Wo Musik die menschlichen Figuren charakterisiert, werden die Autos von Scott Heckers und Oliver Machins Geräuschen zu Blechmonstern und organischen Wesen stilisiert.

 

Wenn etwa die russischsprechenden Buzzards mit Kreissägen das War Rig angreifen, dann sirren ihre Igel-Autos metallisch. Furiosas kraftvoller Kriegstanker wird hingegen von einem leitmotivischen Geräusch begleitet, das ans Starten eines Helikopters erinnert. Das Motorengeräusch passt sich jedoch immer der Stimmung der darin sitzenden Figuren an. Bisweilen ist es in ruhigen Dialogstellen kaum mehr wahrnehmbar.

Immortan Joes selbstzerstörerische Jagd auf das War Rig hat Mangini in Anlehnung an Captain Ahab und Moby Dick mit Walgeräuschen unterlegt. Als die Milch aus den harpunierten Löchern des Tankers spritzt, hören wir Fontänen aus dem Blasloch eines Wals. Die Zerstörung des War Rig schliesslich wird als Sterben des Weissen Wals zum wuchtigen Pathos von «Walhalla Awaits» ausschliesslich mit Tierlauten synchronisiert, deren diegetischen Ursprung wir allerdings in keinem Moment infrage stellen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Soundtrack

02. Nov. 2015

Klassische ­Filmmusik im Zeitalter des ­Sounddesigns

Während die eingängigen Themen und Motive von Raiders of the Lost Ark wohl den meisten Zuschauern im Ohr bleiben, zeigt sich eigentliche Meisterschaft des Komponisten John Williams in seiner Fähigkeit, bildgenau auf visuelle und emotionale Bewegungen zu reagieren, ohne den musikalischen Formwillen dem Effekt zu opfern. Gerade wegen dieser Nähe zur scheinbar redundanten Kompositionspraxis von Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold wird John Williams von der seriösen Filmkritik oft vorschnell als reaktionär ignoriert. Ein genaues Hinhören lohnt sich: Soundtrack-Analyse mit Beispielen.

Soundtrack

28. Okt. 2016

Musikalische Graustufen

Der japanische Komponist Takemitsu Toru ist ein philosophischer Avantgardist. Sensibel hebt sein Soundtrack zu Imamura Shoheis Schwarzer Regen die Themen und Widersprüche des Films hervor. Eine Analyse mit Filmausschnitten.

Soundtrack

15. März 2017

Ein umfassendes musikalisches Universum

Mit der Musicalhommage La La Land begeistert der Hobby-Jazzer Damian Chazelle Kritik und Publikum gleichermassen. Nun ist der Film für die beste Filmmusik und den besten Song mit einem Oscar ausgezeichnet worden. Oswald Iten hat den Soundtrack analysiert (mit Videobeispielen).