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Vom Spriessen der Filmproduktion unter dem koreanischen Regen

Bereits 2011 beleuchtete Filmbulletin das koreanische Filmschaffen mit einem eindrücklichen Überblick von den Anfängen bis in die Gegenwart. Lesen Sie den Hintergrund aus unserem Archiv anlässlich unseres Südkorea-Schwerpunkts.

Text: Martin Girod / 27. März 2024

Am Festival von Cannes ist das Filmschaffen aus Südkorea seit geraumer Zeit stark präsent; allein im Wettbewerbsprogramm liefen in den letzten zehn Jahren neun südkoreanische Filme, fünf davon wurden ausgezeichnet. Nicht wenige kamen auch in den französischen Kinos heraus und wurden von der Fachpresse stark beachtet. Anders in der Schweiz: Ausser den Filmen von Kim Ki-duk schaffte es in den letzten Jahren kaum ein koreanischer Film in unsere Kinos. In Deutschland sieht das Bild trotz den Bemühungen verschiedener Berlinale-Sektionen nicht viel günstiger aus.

Zu fremd ist offenbar dem hiesigen Publikum dieses Land, um anders denn als Exotikum wahrgenommen zu werden – der zwanzig Jahre zurückliegende Ausnahmeerfolg von Warum Bodhi-Dharma in den Orient aufbrach (Bae Yong-kyun, 1989) scheint in diese Richtung zu weisen. Zu unbekannt ist die Geschichte Koreas, seine Kultur und erst recht seine vielfältige Filmtradition.

Deshalb sei – so approximativ er auch unvermeidlich ausfällt – ein kleiner Überblick versucht, der die Neugier wecken soll. Das umfangreiche Panorama, das das Festival International des Cinémas d'Asie in Vesoul im Februar 2011 dem südkoreanischen Film widmete, bot dazu einen idealen Anstoss. Dazu kommt die verdienstvolle Editionspraxis des Koreanischen Filmarchivs, das begonnen hat, wichtige Klassiker zu restaurieren und in vorbildlichen DVD-Ausgaben herauszubringen.

Weitgehend ausgeklammert bleiben muss hier das Filmschaffen Nordkoreas, weil es im Westen (und in Südkorea) höchstens in einigen Ausnahmebeispielen sichtbar ist.

Geschichte und Filmgeschichte

Zum Verständnis der Filme ist es hilfreich, sich die wichtigsten Etappen der leidvollen Geschichte Koreas im zwanzigsten Jahrhundert zu vergegenwärtigen: Sie prägte die Produktion, beeinträchtigte die Konservierung der Filme und ist mehr oder weniger explizit in vielen Filmen präsent.

Von 1910 bis 1945 lebt und leidet Korea unter der japanischen Besatzung. Obwohl sich bereits in der Stummfilmzeit eine rege Filmproduktion entwickelt, ist der älteste erhaltene koreanische Film ein später Stummfilm (Jugend am Scheideweg, 1934). Nach dem Beginn des Japanisch-Chinesischen Kriegs 1937 verschärft sich die Situation für das koreanische Filmschaffen: Die Besatzungsmacht erhöht den Druck zur Japanisierung Koreas und verbietet schliesslich die Produktion von Filmen in koreanischer Sprache.

Die Befreiung vom japanischen Joch 1945 bringt nicht die Unabhängigkeit, sondern die Teilung des Landes in den anfänglich sowjetisch besetzten Norden und den von einer US-Militärregierung verwalteten Süden. Es folgt der Koreakrieg zwischen Norden und Süden, inklusive Verbündeten, von 1950 bis 1953. In dessen Verlauf wird der grösste Teil des Landes von den Armeen mehrmals überrannt und verwüstet. Der Krieg hinterlässt tiefe Wunden, ein dauerhaft geteiltes Land und ein bis heute mehr oder minder andauerndes ideologisches Frontklima.

Von den Tonfilmen vor 1950 ist nur gut ein Zehntel erhalten. Selbst aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren muss die Mehrheit der Filme als verloren gelten. Eine Zusammenhänge aufzeigende Betrachtung des Filmschaffens in Südkorea ist daher erst ab Mitte der Fünfzigerjahre einigermassen möglich. Für den auch im internationalen ergleich sehr mageren Bestand gibt es verschiedene Gründe. Dazu gehört neben dem Bürgerkrieg die rein privatwirtschaftliche Produktionsweise, in der lange Zeit ein alter Film als kommerziell wertlos galt. Das Koreanische Filmarchiv wurde erst 1974 gegründet, und es dauerte zwanzig Jahre, bis es vom Staat effektiv unterstützt wurde.

Tendenz zur Abschottung

1953 etabliert Lee Seung-man (im Westen als Syngman Rhee bekannt) ein autokratisches Regime. Dieses fördert den Film wirtschaftlich, wozu es unter anderem die Steuer auf den Kinobilletten aufhebt, übt aber eine strenge ideologische Kontrolle aus. Einige der prägenden Regisseure der folgenden Jahrzehnte, wie Shin Sang-ok (1926-2006), Lee Kang- cheon (1921-1993), Kim Ki-young (1919-1998) und Yu Hyun-mok (1925-2009), treten in dieser Zeit mit ersten Werken von beeindruckender Qualität hervor. Noch ist das Vorbild des japanischen Kinos spürbar – manche Filmemacher haben ihre künstlerische Ausbildung in Japan erhalten. Dieser Einfluss wird schnell abnehmen, denn aufgrund der bitteren Erfahrung der Fremdherrschaft verbannt Südkorea bis 1998 die japanischen Filme von seinen Leinwänden.

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The Host (2006)

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Flower Island (2001)

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Blackhair / Geomeun meori (1964)

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Mother (2009)

Ein Volksaufstand verjagt 1960 den Tyrannen, doch die relative Freiheit dauert nur ein gutes Jahr. Im Mai 1961 putscht das Militär unter General Park Chung-hee (ermordet 1979), es reisst die Macht an sich und richtet für rund ein Vierteljahrhundert eine Präsidialdiktatur ein.

Bis zur breiten Einführung des Fernsehens bildet auch in Korea das Kino einen florierenden Markt, von dem man schon aus Devisengründen die ausländischen Filme weitgehend fernzuhalten versucht. Die Filmeinfuhr wird ab 1962 (bis 1988) durch eine strikte Kontingentierung geregelt; Einfuhrbewilligungen erhalten die einheimischen Produzenten, sei es im Verhältnis zu ihrem Produktionsvolumen, sei es als Belohnung für «wertvolle», das heisst: politisch genehme Filme. Viele der eigenen Produktionen werden möglichst billig hergestellt, mit kurzen Drehzeiten und oft auf Kosten der technischen Qualität (bei diesen generell nachvertonten Filmen kann zum Beispiel von Synchronität keine Rede sein).

Blütezeit in den Sechzigerjahren

Quantitativ entwickelt sich die Produktion im Laufe der Sechzigerjahre von knapp hundert langen Spielfilmen jährlich auf über zweihundert. Wer als Regisseur im Geschäft ist, dreht Jahr für Jahr seine drei bis vier Filme: Eine gefährliche Verführung zum Ungefähren, aber auch eine handwerkliche Schule und Erfahrung, wie Schweizer Regisseure sie sich wohl nicht im Traum vorstellen können.

Eine solche Fliessbandproduktion bedient sich aus naheliegenden Gründen bewährter Grundmuster und Handlungsschemen; es entsteht eine Menge von Genrefilmen. Dennoch verzeichnet das südkoreanische Kino auch nach dem Ende des kurzen politischen Tauwetters eine erstaunliche Blüte. Die strukturellen Fördermassnahmen tragen Früchte unterschiedlicher Art. So wandelt man höchst erfolgreich die italienische Komödie ab und schafft eine Serie von teils komischen, teils melodramatischen Kleineleutefilmen, zumeist mit einer Familie im Zentrum. Ihr grosser Star, Kim Seung-ho (eine Art koreanischer Gino Cervi), tritt pro Jahr in zehn bis zwanzig Filmen auf.

Von den bereits genannten älteren Regisseuren mit künstlerischer Handschrift überrascht Kim Ki-young i960 mit The Housemaid (Hanyo), der damals schockierenden Geschichte der ausserehelichen, verhängnisvollen Beziehung eines Professors zu seinem Hausmädchen. Als wichtiger neuer Regisseur profiliert sich vor allem Lee Man-hee (1931- 1976). Mit Black Hair (1964) gelingt ihm, trotz der Anlehnung an ein Hollywood-Genre, ein eigenständiges Meisterwerk des Film noir, und in A Day Off (1968) findet er adäquate Bilder für eine Liebesgeschichte, die daran scheitert, dass die Gesellschaft für die jungen Leute weder Arbeit noch Perspektiven zu bieten hat.

Selbst an Südkorea ist der Wind der internationalen geistigen und politischen Aufbruchsstimmung der zweiten Hälfte des Jahrzehnts nicht spurlos vorbeigegangen. Filme wie Mist (Angae, 1967) von Kim Soo-yong und Potato (Gamja, 1968), die einzige Regiearbeit des Mist-Drehbuchautors Kim Seung-ok, verbinden einen – umständehalber verspäteten – Hauch von Antonioni und Nouvelle Vague mit einem erstaunlich realistisch-kritischen Blick.

Insgesamt gilt die Dekade heute als die grosse klassische Periode des koreanischen Films. Ganz im Gegensatz zu den siebziger Jahren, in denen sich der ideologische Druck – ausgeübt vor allem durch die (bis 1995 bestehende) staatliche Filmzensur - und die kommerziellen Zwänge so verstärken, dass nur wenige interessante Werke entstehen.

Erneuerung ab Mitte der Achtzigerjahre

Das Militärregime behauptet sich noch einige Jahre trotz Studentenunruhen, der darauf folgenden Ausrufung des Ausnahmezustands und dem Massaker an den Demonstrierenden in Kwang-ju (Mai 1980). Erneute Unruhen bahnen 1986 endlich den Weg: In einer Volksabstimmung wird im Oktober 1987 eine neue, demokratischere Verfassung angenommen.

Ab Mitte dieses Jahrzehnts wird auch das koreanische Filmschaffen wieder virulent. Einerseits überraschen schon länger aktive Filmemacher wie Lee Chang-ho (*1945) mit inhaltlich wie formal ungewöhnlichen Werken, andrerseits debütieren kurz hintereinander starke neue Talente wie Bae Chang-ho (*1953), Park Kwang-su (*1955), Lee Myung-se (*1957) und Park Chong-won (*1958).

Sie alle profitieren von einem politischen Prozess der demokratischen Öffnung, der schliesslich im Dezember 1997 die Wahl des ehemaligen Oppositionsführers Kim Dae- jung zum Präsidenten (bis 2002) ermöglicht. Für seine Bemühungen um eine Wiederannäherung an Nordkorea (verbunden mit einer Aussöhnung mit Japan) erhält er 2000 den Friedensnobelpreis, doch die «Sonnenscheinpolitik» überdauert seine Amtszeit nur kurz.

Eine neueste Welle junger Filmschaffender scheint sich wie befreit von den alten politischen Auseinandersetzungen auszudrücken; sie wendet sich – wie weltweit viele ihrer Generation – unbeschwert erneut dem Genrekino zu, doch nun mit einer spielerisch-selbst- referenziellen Distanz. Regisseure wie Kim Ki-duk (*1960), Park Chan-wook (*1963) und Bong Joon-ho (*1969) waren damit an internationalen Festivals in den letzten Jahren erfolgreich. Auch in Korea trifft diese Art von Action- und Horror-Filmen offenbar den Geschmack eines jungen Kinopublikums: The Host (Gwoemul) von Bong Joon-ho brach 2006 alle Kassenrekorde.

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This Charming Girl / Yeoja, Jeong-hye (2004)

Prägende Autoren

Der in der koreanischen Gesellschaft weit verbreitete Respekt vor den Alten fällt gerade in der Filmszene im Vergleich zu den rohen europäischen Sitten wohltuend auf: Jüngere Filmemacher begegnen ihren älteren Kollegen äusserst respektvoll. So ist ein Veteran wie Yu Hyun-mok, der 2009 im Alter von 84 Jahren starb, als Lehrer der jüngeren Generation vielleicht noch einflussreicher geworden als mit seinem eigenen Schaffen. Und der heute 75-jährige Im Kwon-taek ist der allseits verehrte, weiterhin aktive Altmeister.

Die Bedeutung des Werks dieser älteren Generation einzuschätzen fällt schwer
angesichts der Tatsache, dass das Meiste ihres umfangreichen Œuvres - soweit überhaupt erhalten - kaum noch zu sehen ist. Jedenfalls muss man sich eine spezifische Optik zulegen, die sich auf die Suche nach den Perlen in der Massenproduktion macht. So schätzt etwa Im Kwon-taek von seiner gut 100 Filme umfassenden Filmografie die in nur elf Jahren entstandene erste Hälfte mit guten Gründen gering ein - aber sie erlaubte ihm, zu den Höhen seines beeindruckenden späteren Werks aufzusteigen.

Auch der 1976 erst 45-jährig verstorbene Lee Man-hee hat in den knapp fünfzehn Jahren seines Schaffens fast fünfzig Filme gedreht. Die vom Koreanischen Filmarchiv in einer DVD-Box wieder zugänglich gemachten vier Titel lassen ihn als starke Persönlichkeit erkennen, dessen Filmen bei aller emotionaler Kraft jeder sentimentale Überschwang fremd ist. Umso bedauerlicher, dass gerade von seinem Werk ein Grossteil nicht erhalten zu sein scheint.

Lee Chang-ho (*1945) gehörte mit das Manifest der Narren (1983) Und Der Mann mit den drei Särgen (1987) zu den wesentlichen Erneuerern. Seit 1995 hat er jedoch keinen Film mehr gedreht, dafür in Gremien und für Festivals gearbeitet, weil ihm – nach seinen eigenen Worten – mit der Demokratisierung Koreas «der Feind abhanden gekommen» sei. Auch um Park Kwang- SU (*1955), mit Chil-su und Man-su (1988), The Black Republic (1990), To the Starry Island (1994) und A Single Spark (1995) einer der profiliertesten Exponenten seiner Generation, ist es eher still geworden.

Dass von den Regisseuren hier jeweils nur im Maskulinum die Rede ist, hat seinen Grund in der koreanischen, noch immer stark von der patriarchalischen Denkweise (insbesondere des Konfuzianismus) geprägten Gesellschaft.

Der bereits als Schriftsteller bekannte Lee Chang-dong (*1954) hingegen debütierte als Filmemacher mit Green Fish (1996) für koreanische Verhältnisse spät. Sein Zweitling Peppermint Candy bleibt durch seine originelle Struktur (die Erzählung erfolgt rückwärts, indem jedes Kapitel gegenüber dem zuvor gesehenen zeitlich zurückspringt) und durch seine Kritik an der militärischen Abrichtung junger Menschen einer der Filme des Jahrzehnts. Nach einem Unterbruch – er war 2003/04 Kulturminister – konnte Lee Chang-dong mit Secret Sunshine (2007) und Poetry (2010; Grosser Preis in Fribourg 2011) sein Filmschaffen erfolgreich fortführen.

Dass von den Regisseuren hier jeweils nur im Maskulinum die Rede ist, hat seinen Grund in der koreanischen, noch immer stark von der patriarchalischen Denkweise (insbesondere des Konfuzianismus) geprägten Gesellschaft: Die wenigen Regisseurinnen, die es in den Fünfziger- und Sechzigerjahren gab, konnten nur je einen bis drei Spielfilme drehen; keiner ist erhalten. Bis heute hat sich an dieser Situation nicht viel geändert, obwohl es in Seoul seit 1997 ein Women's Film Festival gibt. Yim Soon-rye, die 1997 mit ihrem ersten langen Spielfilm Three Friends (Sechinku) am Festival in Fribourg war, und die Videoschaffende Kim Gina scheinen derzeit die einzigen Regisseurinnen zu sein, die einigermassen kontinuierlich arbeiten können.

Diversität der Genres und Themen

Während der Trend zu Genrefilmen in den Sechzigerjahren noch primär den industriellen Produktionsbedingungen gehorchte, lernten die koreanischen Filmschaffenden rasch, ähnlich wie ihre amerikanischen Kollegen, Eigenes in die vorgegebenen Grundmuster einzubringen. Der Film noir etwa eignete sich auch hervorragend zur indirekten Darstellung der repressiven koreanischen Verhältnisse.

Die erwähnten Kleineleute-Komödien drehten sich vor allem um das ewige (auch in den meisten anderen Filmen präsente) Thema von Alt und Neu, der koreanischen Tradition und des westlichen Einflusses. Im Familienkontext wird in der Regel die Frage des Heiratens zum Kristallisationspunkt: Fügen sich die Jungen noch dem Zwang zur von den Eltern vermittelten, arrangierten Ehe mit einer «guten Partie» oder erkämpfen sie sich die neue Freiheit zum Ausgehen, zum «Dating» und zur Liebesheirat?

Die romantische Komödie mit ihren mal komischen, mal melodramatischen Liebeswirrungen ist entsprechend neu für Korea. Lee Myung-se nimmt für sich in Anspruch, das Genre in Südkorea eingeführt zu haben, mit Our Sweet Day of Youth (1987), dessen Drehbuch er zusammen mit Regisseur Bae Chang-ho verfasste, und danach als Regisseur von My Love, My Bride (1990) Und First Love (1993).

Angesichts der strengen Zensur mag es überraschen, dass immer wieder Filme die Arbeitswelt kritisch darzustellen vermochten. Meist tragen sie das Wort «Arirang» als Titel (1926,1954 und 1968) oder zumindest als Titelbestandteil: Es bezeichnet eine weit zurückreichende Volksliedform von Klagegesängen über das Leben der einfachen Menschen. Kuro Arirang, 1989 noch vor dem Ende der Militärdiktatur entstanden, schildert die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik, den Versuch zur Gründung einer Gewerkschaft und die scharfe Repression. Regisseur Park Chong- won bedient sich eher agitatorisch-demonstrativer Mittel, doch überhöht er das Thema durch die Musik mit Orgel und Chorgesang einerseits sowie Arbeiterliedern andrerseits.

Gerade in Zeiten eingeschränkter Ausdrucksfreiheit dient der «unverdächtige» Rückzug in historische Stoffe oft dazu, auf distanzierte Weise Themen zu behandeln, die im aktuellen Gewand kaum durch die Zensur kämen. So dürfte der Erfolg von Shin Sang-oks eher steifem Kostümfilm Prince Yeon-san (1961) in der kritischen Darstellung eines tyrannischen Herrschers begründet hegen. Filmisch weit inspirierter, nutzte Bae Chang-ho 1985 den historischen Stoff von Hwang Jin-yi zu einer Darstellung der Situation der Frau und der sie permanent ausnutzenden Männer. Ähnlich wie Im Kwon-taek 1986 in seinem auch in der Schweiz verliehenen Film Die Leihmutter (Sibaji) überliess er es dem Publikum, aktuelle Parallelen zu ziehen.

Antikommunismus als Filmgenre

Zu den vielen Produktionen, die sich erfolgreicher Genres westlicher Prägung bedienen und diese variieren, kommt ein eigenes südkoreanisches Genre: der in der Zeit des Koreakriegs spielende «antikommunistische Film». Wie im klassischen Western muss man sich erst an die schematische Prämisse – die bösen Rothäute beziehungsweise hier die bösen Roten – gewöhnen, um zu sehen, wie sich dahinter Erstaunliches entfalten kann. So verzichtet Lee Kang-cheon in The Pia Valley (Piagol; 1955), einem eindrücklichen Klassiker des Genres, darauf, die heldenhaft den Kommunismus bekämpfenden Truppen des Südens zu zeigen, und konzentriert sich ganz auf die Darstellung der (letztlich selbstzerstörerischen) Gruppendynamik einer Partisaneneinheit.

Die Figuren werden uns nahegebracht, es packt uns die Tragik dieser verpfuschten Lebensentwürfe. Kein Wunder, dass die offiziellen Stellen am «Antikommunismus» des Films zweifelten und ihn erst nach einigen Änderungen freigaben. Lee Man-hee gestaltet in The Marines Who Never Returned (1963) die Kriegsszenen so unheroisch-realistisch, dass die schliesslich explizit aufgeworfene Frage: «Do human beings really need to make war?» schon fast rhetorisch erscheint. Der Film, der mit einem fröhlichen Marschlied beginnt, schliesst denn auch mit einer Art Requiem auf die Marines, die nicht zurückgekehrt sind. Und Yu Hyun-mok schildert in The Rainy Season (Jangma, 1979) den ideologischen Graben, der sich in der Zeit des Koreakriegs auftut, als Kluft innerhalb einer Familie, die nur durch die Rückbesinnung auf traditionelle koreanische Werte überwunden werden kann, versinnbildlicht im schamanischen Ritual zur Vertreibung einer Schlange.

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The Isle / Seom (2000)

Rückbesinnung auf die eigene Tradition

Die eigene Geschichte und Tradition ist eines der Kernthemen des koreanischen Filmschaffens nach 1945; die Frage nach der kulturellen Identität erhält nach einer so lange währenden Fremdherrschaft eine besondere Relevanz. Oft wird die Zeit der japanischen Besetzung direkt thematisiert, so etwa in Im Kwon-taeks Genealogy (Chokpo, 1978), der schildert, wie in den späten Dreissigerjahren die Koreaner:innen genötigt wurden, ihren traditionellen Familiennamen zugunsten eines japanischen aufzugeben.

Die Gewohnheit, Dreharbeiten zu einem neuen Film jeweils mit einem schamanischen Opferritual zu beginnen, soll bis heute fortbestehen.

Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die religiösen Bindungen. Ungebrochen präsent ist der Schamanismus als uralter, parallel zu und oft verbunden mit den anderen Religionen weiterlebender Volksglaube. Daneben der ebenfalls alte, von den Japanern neu belebte Buddhismus und der in der Choson- Dynastie zur staatstragenden Ideologie aufgestiegene Konfuzianismus mit seinem starken Ahnenkult. Den christlichen Konfessionen gehören heute, je nach Statistik, ein Drittel bis die Hälfte der Koreaner:innen an. In den Filmen sind ihre Kirchen und Kreuze auffallend oft zu sehen, doch die Gewohnheit, Dreharbeiten zu einem neuen Film jeweils mit einem schamanischen Opferritual zu beginnen, soll bis heute fortbestehen.

Am deutlichsten ist der Bezug auf die eigene kulturelle Tradition in der Vielzahl filmischer Adaptationen der populären, zugleich als Höhepunkt der klassischen koreanischen Literatur geltenden Liebesromanze von «Chun-Hyang». Der erste koreanische Langspiefilm der Stummfilmzeit war 1923 dieser Geschichte gewidmet, ebenso der erste Tonfilm 1935 und der erste Cinemascope-Farbfilm 1961. Die bestechend schöne Version von Im Kwon-taek aus dem Jahr 2000 ist die siebzehnte Version in Südkorea (mindestens eine weitere entstand in Nordkorea); als erste inspiriert sie sich auch formal an der kulturellen Tradition, indem sie den Pansori-Gesang einbezieht und damit an die Urform des Stoffes anknüpft.

Diese geraffte Einführung in koreanische Geschichte, Kultur und Filmtradition möchte nicht den Eindruck aufkommen lassen, koreanische Filme seien trotz ihrer Schönheit durchwegs von schwer zugänglicher Fremdheit. Einer ihrer Reize liegt darin, dass sie uns Vertrautes, Alltägliches mit neuen Augen sehen lassen, wie den in kaum einem südkoreanischen Film fehlenden Regen. Es scheint ein besonderer Ehrgeiz der koreanischen Regisseure zu sein, dieses Motiv aus seiner früher klischeehaften Verwendung – von den durch äussere Nässe behinderten oder begünstigten Liebesszenen bis zum obligaten Gewitter für dramatische Zuspitzungen – weiterzuentwickeln, zu differenzieren und überraschend einzusetzen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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